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Der Faro de Ajo in Kantabrien Spanien.
Aktiv Kultur + Lifestyle

¡Vamos al Faro de Ajo! – ein kantabrischer Leuchtturm als Kunstobjekt.

Mit dem Bike durch kantabrische Hügellandschaft zum Leuchtturm Faro de Ajo.

Mitte September. An der kantabrischen Küste Nordspaniens klettert das Thermometer immer noch auf über 30 Grad. Atlantikwetter. Der Himmel leuchtet blau, eine Gewitterzelle zieht durch, Blitze zucken, Donner rollt, heftiger Regen geht nieder, wieder Sonne. Fotowetter, um die schöne und wilde Küstenregion von Cantábria in Szene zu setzen.

Die kantabrische Küste am Cabo de Ajo.

Die kantabrische Küste am Cabo de Ajo.

Es geht mit dem Rad zum Cabo de Ajo und dem Leuchtturm Faro de Ajo, der Leuchtturm des Knoblauchs. Der findet sich ausgiebig in der kantabrischen Küche. Der Name des Leuchtturms ist eigen, spezieller aber sein Design. In Spanien sind faros meist in klassischem Weiss gehalten, selten einmal in rot-weiss gestreift. So würden das Touristen üblicherweise erwarten. Der Faro de Ajo ist spektakuläres Kunstobjekt, das der kantabrische Künstler Okuda San Miguel gestaltete. Und das ist ein Hingucker.

Eine Gewitterfront zieht über das Cabo de Ajo.

Eine Gewitterfront zieht über das Cabo de Ajo.

Die ersten Sonnenfenster des Tages blitzen durch die dichten Wolken. Wasserdichte Hülle für die Kamera nicht vergessen, denn einige Duschen sind sicher. In die Pedale und Richtung Ajo, so heisst auch das dem Leuchtturm vorgelagerte Städtchen. Eine schwüle Hitze liegt bereits früh über der Landschaft. Der Tag begann sehr warm aber regnerisch und windstill. Der Schweiss beginnt vom Helm zu tropfen, denn die Landschaft ist zwar sanft aber hügelig. Die ersten schriftlichen Aufzeichnungen über die Besiedelung der kantabrischen Küste stammen aus römischer Zeit. Funde zeigen, auch die Uriberier siedelten bereits hier, wie an allen Küsten der Halbinsel. Keimzellen der heutigen Städte waren fast ausschliesslich Klöster, die Ende des ersten Jahrtausends begannen, sich isoliert über die Region zu verteilen. An ihnen wuchsen die Städte. Kurz vor Ajo taucht ein spätes Relikt aus dieser Zeit auf: Die romanische Kirche Santa María. Ein Prachtstück der Romanik, genau ist es nicht bekannt, wohl aus dem 12. Jahrhundert. Zu der Zeit war der Baustil in Frankreich bereits von der Gotik abgelöst. Im konservativen Spanien hielt er sich zwei Jahrhunderte länger.

Die herrliche Eiche an der Kirche Santa María.

Die herrliche Eiche an der Kirche Santa María.

Die Lage von Santa María auf einem Hügel, die Küste überblickend, ist herrlich. An ihr wächst eine Jahrhunderte alte 13 Meter hohe Eiche, die mit breitem Dach Schatten in der drückenden Hitze spendet. Ein wunderbarer Ort, um sich auszuruhen. Ein Wegweiser zeigt, hier führt der camino vorbei, die Küstenroute des Weges nach Santiago de Compostela. Auf ihn wurde bereits in Zumaia am Jardin de Convento gestossen (s.u. Link). Auch ein wunderbarer Ort. Santa María ist vom Grundriss unverändert erhalten, im Laufe der Zeit wurde das eine oder andere dazu gebaut, wie das so üblich ist. Auch Gotteshäuser gehen mit der Mode. Viel ist im Original erhalten wie das Taufbecken.

Santa María – angedeutetes Querschiff und Presbyterium

Santa María – angedeutetes Querschiff und Presbyterium.

Im Schatten unter der Eiche ist es einsam, wie in der ganzen Umgebung. Eine Siesta könnte gehalten werden, so schwül ist es schon am späten Vormittag. Warum nicht, es liegt sich gut am Rasen, aber auf, der Faro wartet. Vorher noch Santa María erkunden. Viel wird es wohl nicht, denn alles scheint verschlossen. Zur Überraschung sitzt unter dem angedeuteten Kreuzgang eine señora im Schatten und widmet sich Näharbeiten. Was sie dort sonst treibt, scheint ungewiss. Ein Seitenportal ist jedenfalls offen. Am besten vorsichtig nachfragen: ¿Muy buenos días señora, puedo pasar? Ein freundliches Lächeln zieht über das Gesicht, schon ist sie emsig am Weg, winkt nachzukommen und verschwindet in der Sakristei. Das Licht geht an, um die eindrucksvollen Gemäuer zu geniessen. „¡Más bonito!“ – „¡sí verdad!, wird selbstbewusst bestätigt. Sie lässt den Gast alleine. Stilelemente aus der Romanik, Gotik und dem mozarabischen vereinen sich harmonisch. Hier sollte jeder Platz nehmen und die Atmosphäre auf sich wirken lassen. Dieser Purismus hat etwas von Besinnung und Einkehr, das dem schwülstigen Barock fremd ist. Jeder wird hier einwenig nachdenklich, ganz automatisch, über sein Leben, bevorstehendes. In seiner Nüchternheit spornt der Raum dazu an, sich dem Leben zu stellen. Abgesehen davon, ist es schön kühl hier. Einkehr ist gut, das Leben sollte gefeiert werden und das spielt sich draussen ab. Hinaus ins Sonnenlicht! Ein freundliches Danke und nicht vergessen, eine kleine Spende zurück zu lassen. Eine schwarze Gewitterfront zieht auf, ideal für intensive Bilder am cabo. Die Stollen surren eilig den Hügel hinab Richtung Ajo.

Eine Gewitterfront zieht westlich Santa María Richtung Cabo de Ajo.

Eine Gewitterfront zieht westlich Santa María Richtung Cabo de Ajo.

Der Abschneider von Santa María durch die Felder führt direkt ins casco von Ajo. Dort begrüsst die Iglesia de San Martín de Tours den Reisenden. Sie ruht auf den Fundamente einer romanischen Kirche, die dort um 950, zusammen mit einem Kloster errichtet wurde. Das liegt etwas weiter im Ort Richtung Küste und wird unweigerlich passiert werden. Die Kirche in der heutigen Form wurde 1592 errichtet.

Romanischer Turm der Iglesia de San Martín de Tours in Ajo.

Romanischer Turm der Iglesia de San Martín de Tours in Ajo.

Nur der romanische Turm ist erhalten, der um 1000 an die ursprüngliche Kirche angebaut wurde. Seine Bestimmung ist noch heute gut sichtbar. Keine kunstvollen Kirchenfenster sonder Schiessscharten. Dicke Kirchenmauern waren immer auch Schutzmauern.

Wehrhaft – der romanische Turm der Iglesia de San Martín de Tours in Ajo.

Wehrhaft – der romanische Turm der Iglesia de San Martín de Tours in Ajo.

Und wieder an der Kirche ein dickes Laubdach, das Schutz vor der Sonne spendet. Ob in Sevilla oder Lisboa, auf der iberischen Halbinsel locken überall schattige Gärten, um der flirrenden Hitze des Tages in der hohen Kunst des Nichtstuns zu entkommen. Oasen, die das besondere Flair dieser Region ausmachen. (s.u. Link)

Schattige Plätze rund um die Iglesia de San Martín de Tours in Ajo.

Schattige Plätze rund um die Iglesia de San Martín de Tours in Ajo.

Wieder der Verlockung der Siesta entsagt und im Sattel. Offene Strecke Richtung Küste. Hinter dem Rücken donnert es, Sturm kommt auf, heftige Böen versuchen den Biker vom Rad zu werfen. Dann plötzlich Windstille. Ein Zeichen, die Gewitterzelle ist zentral über dem Radler. Wolkenbrüche gehen nieder, es blitzt heftig. Ein Unterstand ist weit und breit nicht zu finden. Einfach weiter, endlich weiss man, warum soviel in ein Carbon Bike investiert wurde: Blitzschutz. Einwenig dürfte es helfen. Und wie wenn ein Schalter gelegt worden wäre, ist der Trubel vorbei. Die Sonne kommt durch, der Asphalt dampft, der Radler tropft. Bei gut 30 Grad war das eine angenehme Erfrischung. Fünf Minuten und alles ist wieder trocken.

Willkommene Abkühlung – Platzregen nahe des Cabo de Ajo.

Willkommene Abkühlung – Platzregen nahe des Cabo de Ajo.

Der faro taucht an der Küste auf. Die Gewitterzelle liegt schon hinter ihm. Was für ein Bild! Trittfrequenz erhöhen, es geht einen Hügel hinunter und noch querfeldein über nasse Wiesen. Die Zeit ist knapp. Dann steht er da, ragt in den Himmel, nicht sehr hoch, aber das ist in diesem Fall egal. Was für ein Anblick, eine Wolke regnet hinter ihm ins Meer ab. Die Reste der entladenen Gewitterzelle, welche die Dusche spendete. Das Herz pocht, ein Bild das reicht und dann ins nasse Gras setzen und beobachten, was sich am Himmel tut, hinter diesem Kunstwerk. Geniessen, das sind unwiederbringliche und nie wiederkehrende Erlebnisse. Auch im Kopf lassen sich Bilder speichern, viel komplexer und reicher.

Faro de Ajo im Design des kantabrischen Künstlers Okuda San Miguel vor den Resten einer Gewitterzelle.

Faro de Ajo im Design des kantabrischen Künstlers Okuda San Miguel vor den Resten einer Gewitterzelle.

Okuda San Miguel schuf dieses Kunstwerk, das auf eine sehr eigenwillige Art wirkt. Nicht nur, dass es an diesem Ort überrascht, die Kombination von strengen geometrischen Linien und Tierornamenten in Regenbogenfarben, fesseln. Okuda kommt aus der Graffiti Szene, malt mittlerweile in seinem Studio auch auf Leinwand, gestaltet die Fassaden von Privathäuser, auch in Dubai grosse. Die Gemeinde beschloss, dem Ort touristische Qualität zu geben. Alt ist der Leuchtturm nämlich nicht und auch nicht sehr hoch. Der Brennpunkt der Linse liegt nur exakt 10,73 m über Grund. Dazu kommt noch die Höhe der Klippe. Daher reicht das in diesem Fall. Geplant wurde der ursprüngliche Leuchtturm 1907, in Betrieb ging er erst 1930. Da war die grosse Zeit der Leuchtturm Bauprojekte in Spanien bereits vorbei. Die war um 1880, als Spanien beschloss, seine Küstenlinie neu zu vermessen und systematisch mit einem staatlichen Leuchtturm Netz zu überziehen. Sie sollten die Handelsrouten navigatorisch sicherer gestalten. Bis dahin errichteten Provinzen faros nach Lust und Laune oder auch nicht.

Der Leuchtturm, der heute zu sehen ist, stammt aber aus dem Jahr 1985 und war bereits für den vollautomatischen Betrieb ausgelegt. Der alte wurde abgerissen, zurück blieben nur die beiden Leuchturmwärter Häuschen, die nun als halbe Ruinen dort stehen. 2020 wurde ein Budget von 75 tsd. Euro freigegeben, um die Fassaden des Leuchtturms und der beiden Häuschen zu sanieren und vom Künstler Okuda San Miguel gestalten zu lassen. Der Künstler machte sich ans Werk und setzte sein Kunstwerk in nur drei Tagen am Leuchtturm um. Am  26. August 2020 war er fertig. Graffiti Künstler sind gewohnt, schnell arbeiten zu müssen. Während der Tage wohnte Okuda in einem Hostal, denn das Budget war nicht gerade ergiebig. Laut dem Künstler sollen die 100 unterschiedlichen Farbtöne, die er eingesetzt hat, acht Jahre lang der intensiven Sonne standhalten. Das war für die Anwohner eine schlechte Nachricht, soviel Qualität. Vom Budget wurden nur 40 tsd. Euro eingesetzt. Die Verwaltung beschloss, die beiden weiteren Gebäude nicht zu sanieren. Der Hintergrund: Auch der Faro de Ajo war original Weiss und die Anwohner meinten, die Welt dürfe sich nicht verändern, sammelten 4 tsd. Unterschriften, um zu bewirken, dass alles wieder weiss übermalt würde. Eine politische Partei legte offiziell Beschwerde ein. Das Projekt von Okuda dürfte sie wohl schockiert haben. Für Besucher ist es ein Magnet. Am Leuchtturm selbst, finden auch kulturelle Veranstaltungen statt und zwei Jahre später, ist er immer noch bunt.

Faro de Ajo im Design des kantabrischen Künstlers Okuda San Miguel.

Faro de Ajo im Design des kantabrischen Künstlers Okuda San Miguel.

Nicht ausgelassen werden sollte der schön angelegte Küstenweg, der eindrucksvolle Ausblicke auf die Küstenlinie gibt. Neben der interessanten Flora und Vogelwelt, werden den meisten Besuchern die interessanten geologischen Formationen ins Auge springen, die bis an die Abbrüche grün bewachsen sind. Für die besonders Interessierten: „… paläozoische Sedimente … … Kambrium (550 Millionen Jahre) bis Karbon (310 Millionen Jahre) …. figuriert als Zona Cantábrica in der Literatur.“*)

Die kantabrische Küste – beeindruckend schön.

Die kantabrische Küste – beeindruckend schön.

Cantábria, damit können die wenigsten Mitteleuropäer etwas anfangen. Urlaubsdestination ist es zum grössten Teil nur für Spanier selbst. An ausländischen Kennzeichen, sind hauptsächlich Franzosen, Niederländer und Briten auszumachen. Das hat wohl einen historischen Hintergrund, denn die baskische wie kantabrische Küste lebte einst zu einem guten Teil vom Handel mit England, der Bretagne und Flandern. Lange Verbindungen wirken nach. Cantábria als Reisedestination ins Auge zu fassen, eine gute Idee. Wilde Küstenlinien, mit wunderbaren sandigen Lagunen und Buchten, wie beispielsweise im Naturschutzgebiet um Noja, sind eine Reise Wert, wie auch Geschichte, die Hügellandschaft und das Essen. Naturliebhaber, Surfer und Radsportler werden Cantábria jedenfalls anziehend finden. ¡Viva España! findet es ganz fabelhaft: ¡Vamos a volver!

Playa del Joyel im Naturschutzgebiet von Noja.

Playa del Joyel im Naturschutzgebiet von Noja.

Weiter Lesen.

Mit dem Mountainbike im Baskenland – der Flysch Mirador Baratzazarrak nahe Zumaia.

Paseo por el Parque de María Luisa en Sevilla.

Lissabon – entspannen im Grünen.

Fuentes.

*) Dr. Josef Nievoll, Geologe.

Bildnachweis.

Bilder: © Dr. Ingmar Köhler.

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