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Reise

Teneriffa – botanische Gärten der subtropischen Atlantikinsel.

In viereinhalb Stunden in einer anderen Welt – die Subtropen.

Reisen ist heutzutage einfach geworden. So einfach, dass viele Touristen ein Flugzeug besteigen und gar nicht genau wissen, wo sie wieder aussteigen werden. Oder das Reiseziel auf einem Globus zeigen könnten. Wer in Hamburg ein Flugzeug besteigt und auf Teneriffa wieder aussteigt, hat in rund viereinhalb Stunden 25 Breitengrade überwunden. Der Reisende verliess den 53. Breitengrad und reiste zum 28. in die Subtropen. Das ist schon recht nahe des Äquators. Kurze Dämmerung, die Sonne im Zenit erbarmungslos und schnell hat sich ein Badegast in zwei Stunden so verbrannt, dass er den Rest des Urlaubs im Schatten verbringen muss. Vor allem, wenn er sich auf den höchsten Berg Spaniens, den Pico del Teide mit 3.718 m, aufmacht.

Drei Faktoren, haben auf dem kanarischen Archipel eine einzigartige Flora entstehen lassen: Die isolierte Lage, die Vegetationszonen und das über Jahrtausende recht stetige Klima.

Artensterben in grossem Stil gab es schon vor der Klimahysterie und die Welt besteht immer noch. Als auf Kontinentaleuropa das letzte Glazial anbrach, kam es in Kontinentaleuropa zu einem Artensterben von grossem Ausmass. Das kanarische Archipel war von dem Temperaturabfall in der nördlichen Hemisphäre grösstenteils unberührt und so konnten sich auf den Kanaren Arten erhalten, die in Mitteleuropa zu Grunde gingen. Daher wird das Archipel mit seinen schätzungsweise 650 Endemiten auch gerne als „Galapagos der Botaniker“ bezeichnet. Viele dieser Arten waren einst auch in Europa heimisch wie die kanarische Kiefer, die jedoch durch die Kältewelle ausstarb. Der nächste Verwandte der buschigen und schönen kanarischen Kiefer findet sich erst in Korea. Deutschland hat im Vergleich übrigens nur 6 Endemiten zu bieten.
Ein zweiter Faktor die isolierte Lage der Insel, die die Kanaren vor vielen Plagen verschonte, zum Beispiel von der Reblaus Katastrophe. Über die Jahrtausende konnten sich im isolierten Umfeld eigene Arten ausprägen, die sonst nirgends weltweit zu finden sind.
Der dritte Faktor, der die Kanaren für Botaniker so interessant macht, sind die Klimazonen, denn alle der vier Klimazonen des Planeten finden sich auf dem Archipel. Als sich Alexander von Humboldt lange ersehnt frühmorgens des 20. Juni 1799 mit Maultieren und unzähligen Instrumenten bewaffnet aufmachte, den Pico del Teide (3.718 m) zu besteigen, fielen ihm die scharfen Vegetationssprünge beim Aufstieg auf. Als er wenig später von den Kanaren nach Lateinamerika übersetzte, stellte er beim Besteigen des Chimborazo (6.267 m) in Ecuador überrascht fest, dass er die gleichen vegetativen Zonen durchschritt. Das universelle Modell der Klimazonen war geboren, die Humboldt in der weltberühmten Skizze des Chimborazo visualisierte. Alle der vier universellen Vegetationszonen finden sich auf den Kanaren, von der Küstenzone bis hinauf in die „alpine Kampfzone“, in der nur noch Flechten überleben. So konnten auch viele Pflanzen aus lateinamerikanischen Höhenlagen, die aus Neu Spanien von den Conquistadoren mitgebracht wurden, erfolgreich auf den Kanaren kultiviert werden.

Werden botanische Gärten heute als Sehenswürdigkeit, Oase der Ruhe und Beitrag zur Erhaltung der Biodiversität gesehen, waren sie in Zeiten, in denen sie angelegt wurden, handfester Wirtschaftsfaktor. Es ging darum neue, ertragreiche Arten zu klimatisieren und sodann in möglichst vielen Besitzungen gewinnbringend anzubauen. Botanische Gärten waren Schätze, die illegale Ausfuhr von Pflanzen und das mit ihnen verbunden Know-how so streng geschützt, wie heute Hochtechnologie. Unerlaubter Export von Pflanzen oder Geheimnisverrat in diesem Bezug wurden in Spanien mit der grausamen Hinrichtung durch die Garrotte sanktioniert. Wer beispielsweise das Geheimnis um die Karmingewinnung, auch „Wiener Rot“ genannt, verriet, fand sich am Würgegalgen wieder. Das sie Spanier die Karmingewinnung mit der Schildlaus auf der Opuntie, dem Feigenkaktus, von den Azteken ebenfalls gestohlen hatten, ist eine andere Geschichte.

Teneriffa besitzt drei Herausragende botanische Gärten. Wer Zeit hat, sollte alle besuchen, denn jeder einzelne von ihnen ist einzigartig und eine Augenweide.

Jardines Hijuela del Botánico Tenerife.

Jardines Hijuela del Botánico Tenerife.

Palmetum de Santa Cruz de Tenerife – vom Müllberg zum botanischen Juwel.

Das Palmentum in Santa Cruz de Tenerife ist ein weltweites Kuriosum, denn es wurde auf einer Mülldeponie errichtet. Jahrhundert kippte man dort in guter spanischer Manier den Müll ins Meer, bis auf einer Fläche von 12.000 m² ein Müllberg von 40 Metern Höhen im Atlantik entstanden war. Weiter südlich wurde auch mit anderen Methoden Landgewinn betrieben. Auf dem gewonnen Land siedelte sich Industrie an. Davon übrig geblieben ist nur noch die Raffinerie von Teneriffa. Das gesamte Stadtgebiet trägt den Namen „El Lazareto“, denn zwischen Müllberg und Industrie wurde ein Lazarett errichtet. Dort wurden Seuchenkranke hingeschafft. Eine hervorragende Ecke, um garantiert nicht gesund zu werden.

1983 sah die Stadtverwaltung ein, dass es so nicht weiter gehen konnte. Die am südlichen Stadtende gelegene Mülldeponie wurde 1983 offiziell geschlossen. Zurück blieb der 40 Meter hohe 12 ha grosse Müllberg. Daraufhin gärte der Müll unter der äquatorialen Sonne Jahrzehnte vor sich hin und besonders im August, wenn es so richtig heiss wird, trieb der Nordost Passat, der Just dort das erste mal auf Land trifft, Schwaden des Gestanks ins Inselinnere. Das wurde immer unerträglich. Diskussionen wurden begonnen, was denn mit dem Müllberg geschehen könne. Anfang der 90iger Jahre trat der Landwirtschaftsingenieur Manuel Caballero auf den Plan und schlug als Palmenliebhaber und Experte vor, auf dem Berg einen botanischen Garten zu errichten. Er solle weltweit vorkommenden Palmenarten gewidmet werden. Auch wenn alle dachten, Manuel Caballero würde einen üblen Scherz machen, war es dem  Landwirtschaftsingenieur mit seinem Vorschlag ernst. Die Idee wurde noch fantastischer, als man vorschlug, den ganzen Stadtteil „El Lazareto“ aufzuwerten, indem neben der Mülldeponie, also dem Palmegarten in Spe, ein grosses Schwimmbad und ein Konzerthaus errichtet würde.

Das Auditorio de Tenerife in Santa Cruz, Teneriffa.

Das Auditorio de Tenerife in Santa Cruz, Teneriffa.

Santa Cruz de Tenerife ist seit seiner Gründung ein Musterbeispiel dafür, dass es „verrückter“ Visionen bedarf und hartnäckiger Umsetzungsarbeit, um wirklich Grossartiges zu schaffen. Das gelang. 2003 wurde das architektonisch und akustisch grandiose Auditorio de Tenerife eröffnet, das vom grossen Architekten Santiago Calatrava Valls entworfen wurde. Und so, wie das Konzerthaus in Sidney zum Symbol für die Stadt geworden ist, ist das Auditorio de Tenerife, zusammen mit dem höchsten Berg Spaniens, dem Pico del Teide, das Wahrzeichen und Symbol der Insel Teneriffa geworden. Bis aus der Mülldeponie ein botanischer Garten geworden war, dauerte es noch etwas länger, aber 2014 war es soweit: Das „Palmentum“ öffnete seine Pforten und die „irre Idee“ das Manuel Caballero wurde Realität. Und nicht nur das noch mehr, denn mittlerweile ist das Palmentum in Santa Cruz de Tenerife zur größten Palmen Sammlung Europas angewachsen und ist der grösste konzentrierte Bestand tropischer Palmengewächse weltweit überhaupt. Die Geschichte so verrückt, dass sie erfunden sein könnte.

Die Eröffnung des Palmentums geschah unter grosser Prominenz. An einem schönen kanarischen Wintermorgen des 28. Januar 2014 bei „Königswetter“, eröffneten der damalige Kronprinz Felipe und seine Gattin Letizia, das heutige Königspaar, den botanischen Garten. Bevor die ersten Besucher durch die Tore schreiten konnten, um die neue Attraktion nach 18 jähriger unermüdlicher Arbeit zu bestaunen, machte das Königspaar noch einen einstündigen Rundgang und pflanzte in der Nähe des „Karibik Wasserfalls“ eine besonders schöne jamaikanische Palme. Treffender Weise wählte der Chefbotaniker eine „Roystonea princeps“ – „Prinzessin der Königspalmen“ – aus, die mittlerweile zu beachtlicher Grösse angewachsen ist. Eine Gedenktafel weisst auf den Anlass hin.

Der Besucher betritt den Park durch ein kleines Besucherzentrum, in dem er Informationen und einen Plan erhält. Alternativ reicht auch ein Mobiltelefon mit Internetzugang, denn an allen interessanten Orten sind QR Codes angebracht, die mehrsprachige Audioguides öffnen. Auf Gran Canaria, Teneriffa und Lanzarote mittlerweile Standard bei allen Sehenswürdigkeiten und besonderen Orten. Auch wer nicht mehr gut zu Fuss ist, muss auf den Besuch des Parks nicht verzichten, denn es werden auch allerlei Mobilitätshilfen leihweise angeboten. Wer noch gut zu Fuss ist, steigt über einen Turm über eine „Schraubenlinie“ stufenlos die 40 Höhenmeter auf den ehemaligen Müllberg auf und betritt ihn über eine kleine Brücke, die auch einen herrlichen Ausblick auf den Hafen von Santa Cruz de Tenerife und das Auditorium und die Stadt selbst bietet. Wer das nicht mehr schafft, nimmt den Lift. Oben angekommen, geht es auf guten Wegen immer flach dahin, danach über ein leichtes Gefälle zurück zum Besucherzentrum. Die ganze Anlage ist so, dass sie auch von Rollstuhlfahrern ohne fremde Hilfe problemlos zu meistern ist. Bis ins Herzstück hinein, den „Karibik Wasserfall“, ist alles barrierefrei gestaltet.

Palmetum Santa Cruz de Tenerife.

Palmetum Santa Cruz de Tenerife.

Die Hauptattraktion des Palmetum ist mit Sicherheit der „Karibik Wasserfall“. Der Besucher fühlt sich in einen tropischen Urwald versetzt. Man würde sich nicht wundern, wenn hinter einer Ecke ein Leopard oder anderes hervorkommen würde. Der Karibik Wasserfall plätschert, Palmen rauschen, dichtes, üppiges Grün. Es duftet intensiv nach Exotischem, ausgefallene Vögel werden in den Palmen entdeckt und über die Wasserflächen schwirren Libellen und wunderbare Schmetterlinge. Auch die anderen Teiche im Palmentum, teils bewachsen mit wunderschönen Seerosen, wurden von den Zugvögel entdeckt. Dort brüten beispielsweise Silberreiher. Wer es einrichten kann, sollte gleich um 10 Uhr, wenn der Park öffnet, den Besuch planen. Durch die morgendliche Restfeuchte duftet es dann noch intensiver exotisch im Park. Das allmorgendliche Vogelkonzert ist auch noch zu hören. Viele Besucher sind im Park erstaunlicher Weise auch zur Hauptsaison nicht anzutreffen. Das ist einerseits überraschend und schade, andererseits auch schön, denn der Park gehört ganz den wenigen Besuchern, die sich auf dem grossen Areal so verteilen, dass man sich meist ganz alleine fühlt. Wie oft zu lesen, ist der Park gut in „30 Minuten zu schaffen“. Wer es so angeht, der macht einen schweren Fehler. Überall sind schattige Aussichtsbänke in lauschigen Erkern unter Palmen angelegt, von denen sich fantastisch auf den Atlantik blicken lässt. Ein Picknick zu Mittag dort eine gute Idee. Ein gutes Buch, auch keine schlechte Idee. Oder auch einfach nachdenken, entspannen, Musik hören. Wer den Park so angeht, der wird ihn geniessen und erleben. Wer ihn nur “abarbeitet”, spart sich lieber sein Geld und seine Zeit und legt sich besser an den Strand.

Eine schöne Idee sind die Infotafeln, die unaufdringlich bei Pflanzen aufgestellt sind. Interessante Dinge gibt es da zu erfahren. Etwa über den „Theobroma cacao“, den Kakaobaum also. Dort lernt der interessierte Besucher, dass sein Name von „Teo-broma“, im altgriechischen „Essen der Götter“, stammt. Der Kakaobaum wurde schon von den Mayas, Inkas und Azteken kultiviert. In Santa Ana (La Florida), im oberen Teil des Amazonasbeckens im Südosten Ecuadors, wurde bei Ausgrabungen an Tongefässen die auf 3.300 v.Chr. datiert wurden, Spuren von Kakao gefunden. Wer Glück hat, trifft den Kakaobaum in voller Blüte an. Seine kunstvolle und filigrane Blüte wird dann von Schmetterlingen umschwirrt, die den Nektar lieben. Nachdem sie verblüht ist, beginnt sich die Kakaobohne daraus zu entwickeln. Die Eroberer hatten übrigens mit der Kakaobohne erst ganz anderes im Sinn als Schokolade oder ähnliches daraus zu machen. So, wie sie auf Kuba gleich begannen aus den „Abfällen“ der Zuckerrohr Ernte Rum zu brennen, wurde bereits 1493 in Lateinamerika der erster Kakaobohnen Schnaps gebrannt.

War einst der Müllberg in „El Lazareto“ eine Umweltsünde und ein Schandfleck erster Güte, so war das Palmentum weltweit der erste botanische Garten, der gänzlich auf synthetische Pestizide verzichtet und mit rein natürlichen Methoden arbeitet. Die Natur stellt ausreichend Mittel zur Verfügung, die chemische Industrie nicht bemühen zu müssen. Oft sind die Methoden verblüffend einfach wie der Einsatz einfacher Seifenlauge. Die Trennung von chemisch und natürlich ist natürlich in vielen Fällen mehr eine Frage der Weltanschauung als wissenschaftlich gerechtfertigt. Auch Seife ist ein chemisches Erzeugnis. Klassisch, wie schon in der Antike gewonnen, wird Asche mit Fetten oder Ölen vermengt und hat dann reinigende Wirkung. Das Geheimnis sind die Natriumsalze in der Asche, die auch als erstklassiger Dünger genutzt werden. Ein eigener Berufsstand, der „Aschenbrenner“, war damit befasst, Asche zu brennen. Einst wichtiger Rohstoff.

Jardín de Aclimatacíon de La Orotava – auf Geheiß des Carlo Sebastiano di Borbone.

Der „Jardín de Aclimatacíon de La Orotava“ wurde auf Dekret des spanischen Königs Karl III. (* 20.1.1716, Madrid – † 14.12.1788, ebenda) vom 17. August 1788 angelegt. In der ersten Phase war Alonso de Nava y Grimón, VI. Marques Villanueva del Prado (* 1757, San Cristóbal de La Laguna – † 1832, ebenda) für die Errichtung des Gartens zuständig. Er war Inselgouverneur und beauftrage den Architekten Nicolas Eduardo in La Laguna den Garten zu planen. Bereits 1790 wurde mit der Errichtung des Parks begonnen, 1792 wurden die ersten Pflanzungen durchgeführt.

Nun könnte man meinen, Karl III. war wohl ein grosser Naturliebhaber, dass er auf den Kanaren beschloss einen botanischen Garten anlegen zu lassen. Vielleicht war er das, aber in erster Linie war er Mercantilist, also jemand, der den Handelsbilanz Überschuss nach geltender Lehre maximieren wollte, die Ausfuhr von Fertigprodukten förderte und die Einfuhr von Fertigprodukten mit Steuern drosselte. Der Sinn war das Bruttoinlandsprodukt zu steigern, den Geldumlauf zu erhöhen und so die Steuereinnahmen zu maximieren. Daher liess Karl III. auch das Geldsystem vereinheitlichen und setzte viele moderne Dinge um, die ihn als aufgeklärten absolutistischen und klugen Herrscher auszeichneten. So schuf er das erste einheitliche Rechtssystem Spaniens, den „Código Carolino“ und setze die ersten Massnahmen zur Errichtung eines Sozialstaates. Hospitäler und Waisenhäuser wurden gebaut, die Abschaffung der Getreidesteuer auf das wichtigste Grundnahrungsmittel wurde angeordnet, Bettler und Landstreicher fanden einen Platz in der spanischen Marine uvm. geschah unter seiner Herrschaft. Mit Ideen zur Seite stand ihm der italienische Aufklärer Bernardo Tanucci (* 20.2.1698, Stia – † 29.4.1783, Neapel) in seinen reifen Jahren.
Die grossen Umwälzungen, die der tatkräftige König in vielen Bereichen in Spanien bewerkstelligen konnte, basieren auf seiner grossen Erfahrung. Er herrschte, bevor er König von Spanien wurde, 28 Jahre über die napoleatanischen Besitzungen und war ein routinierter Lenker. Er war der erste spanische König, der erfahren den Thron bestieg. Als Sohn von Philipp V. von Spanien und dessen zweiter Gemahlin Isabel de Farnesio hatte Karl III. erst keine Chance auf die Erbfolge und so bedachte ihn die kluge Mutter nach fundierter humanistischer Ausbildung mit den italienischen Besitzungen. Da alle Thronfolger früh starben, rückte Karl III., obwohl nur an 4. Stelle der Erbfolge, schliesslich auf den Thron nach. Er begann Spanien nachhaltig zu verändern.

Der „Jardín de Aclimatacíon de La Orotava“ war nicht der Naturliebe Karl III. gewidmet, sondern dem Mercantilismus. Aus den Tropen stammende Pflanzenarten, aus Neu Spanien, sollten in Orotava akklimatisiert werden, wie der Name des Gartens verrät, um sie ertragreich auch in Spanien und vor allem auf den Kanaren anzubauen. Die Höhenlagen von Gran Canaria und Teneriffa ähneln stark den klimatische Bedingungen Lateinamerikas. So konnten wichtige Genimporte aus Lateinamerika wie die Tomate oder die „Papa antigua“, die „Schrumpelkartoffel“, das Zuckerrohr oder Zitrusfrüchte nahe Europas angebaut werden. Schnelle Frachtensegler konnten so die Luxusprodukte frisch nach Britannien oder die iberische Halbinsel bringen und das auch im Winter, wenn auch auf den Balearen keine Ernte möglich war. Die Kanaren waren zu dieser Zeit nicht nur die Drehscheibe zwischen alter und neuer Welt, sondern auch eine Art Gewächshaus für Kontinental Europa.
Abgesehen vom rein wirtschaftlichen Nutzen, den der „Jardín de Aclimatacíon de La Orotava“ zu erfüllen hatte, wurden in ihm auch exotische Zierpflanzen für den spanischen Hof in Madrid kultiviert. Ein exotischer Garten war zu jener Zeit fixer Bestandteil standesgemässer Repräsentation und man versuchte sich gegenseitig mit seltenen Pflanzen und Tieren zu übertreffen.

Der erste Forscher, der ein systematisches Verzeichnis aller Arten anlegte, die im „Jardín de Aclimatacíon de La Orotava“ zu finden waren, war der Biologie André Pierre Ledru (* 22.01.1761, Chantenay, Dans le Maine – † 11.07.1825, Le Mans). Er empfahl danach die Gewächse in Zonen nach dem noch heute als Standard geltenden Klassifikationssystem des Forschers Carl von Linné (* 23.5.1707, Råshult – † 10.1.1778, Uppsala) zu gruppieren und anzupflanzen. Dieser Empfehlung folgte man und so kann heute der botanisch interessierte Besucher nach Führer die Arten nach Linné gruppiert in einzeln Gartenzonen erforschen.

Jardín de aclimatacatíon La Orotava Tenrife.

Jardín de aclimatacatíon La Orotava Tenrife.

Der Besucher, der über die Stufen und das mächtige Portal den 20.000 m² grossen Garten betritt, gleitet in eine andere Welt. Dichtes üppiges Grün, das die intensive kanarische Sonne abschirmt, taucht das Innere des Gartens in ein sanftes Licht. Angenehm kühl ist es dort. Auch in der drückenden und schwülen Sommerhitze des August herrscht angenehmes Klima. Zugvögel brüten in ihm zur Zeit des kontinental-europäischen Winters und geben jeden Morgen ein Konzert. Afrikanische Schmetterlinge flattern an den Teichen herum, die es auf den Nektar der vielen Blüten abgesehen haben. Auch für jene, die mit Botanik so gar nichts am Hut haben, ist der Besuch des exotischen Gartens ein ansprechendes Erlebnis. Vor allem die Jahrhunderte alten exotischen Bäume von enormer Höhe, die atemberaubend weit verwurzelt mit vielen Stämmen den Garten prägen, sind beeindrucken und grotesk in ihrer Form. Schön anzusehen, schön zu fotografieren. Wer sich einwenig mit Botanik befasst, findet ein faszinierendes Entdeckungsgebiet, denn der Garten ist ein sogenannter „Weltgarten“, im Gegensatz zum „Jardín Botánico Viera y Clavijo“ nahe Las Palmas de Gran Canaria, der sich ausschliesslich der Erhaltung kanarischen Endemiten widmet. Der Besucher, der sich mit den kleinen Tafeln befasst, die den spanischen wie den wissenschaftlichen Namen der Pflanzen anzeigen, wird kurioses wie den „Afrikanischen Leberwurstbaum“, den „Afrikanischen Tulpenbaum“, die „Honigpalme“ oder den „Korallenbaum“ entdecken. Oder ihm gut bekannte Pflanzen wie den Kaffeebaum, Avocado, Bananenstauden, Drachenbaum oder Brotbäume vielleicht zum erste Mal in Natur erleben.

Der „Jardín de Aclimatacíon de La Orotava“ dient aber auch der Forschung und dem Erhalt der Arten und besitzt, wie der „Jardín Botánico Viera y Clavijo“, eine gut gepflegte Gendatenbank, die laufend systematisch ausgebaut wird. Auch ein Herbarium, das den kanarischen Arten gewidmet ist, wird gepflegt und besitzt mittlerweile gut 37 tsd. Exemplare. Das dem Garten angeschlossene Institut, mit seinen Räumlichkeiten in den Gebäuden an der Nordmauer des Gartens, leitet u.a. Forschungsprojekte auf mehreren Inseln und betreibt eine erstklassige Bibliothek. Herbarium und Bibliothek stehen auch der Öffentlichkeit zur Verfügung. Es ist jedoch vorher ein Termin zu vereinbaren. Schon lange ist im Gespräch den „Jardín de Aclimatacíon de La Orotava“ von seinen 20.000 m² auf das Doppelte zu vergrössern, denn er platzt aus allen Nähten und würde deutlich mehr Platz benötigen. Ob und wann die Pläne umgesetzt werden ist fraglich. Abgesehen davon, dass er dann mit den projektierten 40.000 m² zu den richtig grossen in Europa zählen würde, wäre das derzeitige grüne Paradies noch atemberaubender als schon jetzt.

Jardines Hijuela del Botánico – 4.000 m² Idylle.

Der „Jardines Hijuela del Botánico“ entstand im ehemaligen Gemüsegarten der Nonnen des Klosters „Convento de San José de La Orotava“ und dient nun als Erweiterung des „Jardín de Aclimatacíon de La Orotava“, der aus allen Nähten platzt und schon seit langem erweitert werden soll. Das Frauenkloster wurde von Nonnen aus dem Kloster in La Laguna gegründet und bewohnt. Errichtet wurde der Convent 1597 mit königliche Lizenz von Joseph de Llerena und Isabel Ana Calderón. Vor ihnen wollten Luís Benítez de Lugo und Francisco Xuárez de Lugo selbiges Unterfangen in Angriff nehmen, sie erhielten jedoch am 3. Dezember 1594 einen abschlägigen Bescheid von Philipp II. Warum ist nicht bekannt. Jedenfalls bezahlten Nachkommen dieser Señores die später errichtete Kirche und Hauptkapelle des Convents. Es muss also den Señores ein dringliches Anliegen für ihr Seelenheil gewesen sein, das Kloster zu errichten und Geld dürften sie auch genug gehabt haben.

Das „Convento de San José de La Orotava“ stand jedoch nie unter einem guten Stern. Vielleicht lag es am Geld, mit dem es errichtet wurde, das wohl dazu dienen sollte, die Stifter vor dem „purgatorio“, dem Fegefeuer, zu retten. Gängige Praxis zu jener Zeit. Das Kloster konnte sich nie selber tragen, endete völlig verschuldet, Nonnen fanden sich auch keine mehr und schon bald war es in baufälligem Zustand und siechte fast leer dahin. Was die Finanznöte des Kloster nicht final schafften, schaffte die spanische Krone, als sie 1836 auf die blendende Idee kam, das Königreich zu säkularisieren. Das diente nicht dazu, wie glauben gemacht werden sollte, Staat und Kirche zu trennen. Der König, besser diesmal die Königin von Spanien, war wieder einmal bankrott und hatte es auf den Besitz der Kirche zur Sanierung der Staatsfinanzen abgesehen. Seit Carlos I., dem Habsburger, dort Karl V. genannt und Gründer des geeinten Spaniens, war das, je nachdem wie man rechnet, der 7. Staatsbankrott in Folge. 2008 unter dem Euro Rettungsschirm vor den Gläubigern Deckung zu suchen, war für Madrid also wohlbekannte historische Praxis in anderem Kleid.

Den Klöstern in Spanien ging es also an den Kragen und auch den „Convento de San José de La Orotava“ traf es. Die Nonnen durften bis exakt zum 21. Oktober 1868 im Convent bleiben und hatte es bis dahin zu verlassen. Mit den Klöstern geschah während der Säkularisierung unterschiedliches. Einige wurden zu Steinbrüchen, wie das älteste Kloster der Kanaren „San Buenaventura“ in Betancuria, Fuerteventura. Andere wurden zum Spekulationsobjekt und brachten viel Geld, denn auf das hatte es die Königin von Spanien die Bourbonin Maria Christina von Neapel-Sizilien (* 1806, Palermo – † 1878, Le Havre) abgesehen. Es herrschte Merkantilismus und der „Toten Hand“ sollte das Vermögen entzogen werden, um es dem Wirtschaftskreislauf zuzuführen, denn das brachte Steuereinnahmen. Schon zu der Zeit war der Zusammenhang zwischen Geldumlauf und Wirtschaftswachstum bekannt. Die „Desamortisation“, die Säkularisierung, lief in La Orotava nach Plan. Die Stadt war mittlerweile mit dem Hafen Puerto de la Cruz, nicht zu verwechseln mit der Hauptstadt Santa Cruz und seinem Hafen, zur wohlhabendsten Ecke von Teneriffa aufgestiegen. Der Wein machte es u.a. möglich, den Shakespeare in seinen Werken immer wieder pries. Der „Convento de San José de La Orotava“ lag im Zentrum der Stadt und war wertvollster Baugrund. So wurde das Kloster im November 1868 geschliffen und auf dem Gelände Gemeindeschule, Rathaus und Gerichte errichtet. Verschont blieb vorerst der alte Gemüsegarten der Nonnen.

Jardines Hijuela del Botánico Tenerife.

Jardines Hijuela del Botánico Tenerife.

Um den Garten der Nonnen zu retten, damit er nicht Spekulanten zum Opfer fallen würde, schlossen sich Bürger von La Orotava zusammen und erwarben das 4.000 m² grosse Grundstück und errichteten den „Jardines Hijuela del Botánico“ darauf. Von vielen Besuchern wird der herausragende und kunstvolle schmiedeeiserne Jugendstil Zaun der Kunstschmiede „Hermanos Pérez Sevilla“ übersehen, der den „Jardines Hijuela del Botánico“ einfasst. Mit wunderschönen organischen Ornamenten und Formen stellt er einen Bezug zur Botanik her. Der Jugendstil als Kontrapunkt zur Industrialisierung damals sehr angesagt. Die Natur sollte in Gestalt organischer Formen in Haus und Städte zurück geholt werden. Ein ebenfalls wunderbares Jugendstil Juwel des Ingenieur Büros Eifel findet sich auf der Nachbarinsel mit dem sehenswerten „Mercado del Puerto“ Las Palmas de Gran Canaria.

Ursprünglich als Oase der Erholung für die Bürger von La Orotava gedacht, wurde der Garten als Geldquelle der Gemeinde entdeckt. Schnell war ein Kassenhäuschen am wunderschönen Eingangsportal aufgestellt. 3,- Euro sollten berappt werden. Das war den potentiellen Besuchern dann doch zu viel, denn dafür ging es auch in den viel grösseren „Jardín de Aclimatacíon de La Orotava“ nur 5 Autominuten entfernt. Das alte Gelände des Nonnen Klosters bekam wieder einmal die Marktkräfte zu spüren. Der Garten blieb leer. Einsam sass die Kartenverkäuferin im heissen Häuschen und kostete mehr, als sie jemals einbringen konnte. Nun steht das Häuschen verlassen und der Eintritt ist wieder frei. Trotzdem ist es einsam und ruhig im Garten. Er ist ein Idyll, ein Kleinod, eine Oase der Ruhe, ein kühles Refugium in der Sommerhitze, Geheimtipp der Zugvögel und Paradies für Schmetterlinge. Dem Besucher ziehen tropische Aromen durch die Nase, das Ohr vernimmt fremde Vogelrufe und das Auge ruht im satten Grün aus. Farbtupfer, prächtige Blüten, locken, den Garten näher zu erkunden. Die Welt „draussen“ wird vergessen. Eine gute Idee dort in sich zu gehen und die eigene innere Welt zu erkunden.

Wer einen Nachmittag im Sommer mit einem guten Buch verbringen möchte, als verliebtes Pärchen, auch ganz alleine, für den gibt es in La Orotava keine bessere Adresse als eine Bank im wunderschönen „Jardines Hijuela del Botánico“. Dort lässt sich träumen, küssen, sich nahe sein, lesen, nachdenken oder dort können auch ganz hervorragend die Gedanken im Kopf durch andere Welten ziehen. Der lauschige kleine von Jugendstil Schmiedeeisen geschützte Ort ist ein Refugium für Fantasie und Gefühle. In ihn sollte der Besucher mit Zeit eintreten, um in ihn mit allen Sinnen einzutauchen. Lärmende Mobiltelefone entweihen diesen besonderen Ort.

Nützliche Infos.

Jardín de Aclimatacíon de La Orotava

Öffnungszeiten:
Täglich: 9:00-18:00
Geschlossen: Neujahrstag, Karfreitag, 1. Weihnachtstag
Bibliothek und Kräutergarten: 9:00-13.00 Uhr nur nach Voranmeldung!

Eintritt:
Erwachsene: 3,- Euro
Kinder unter 12: 1,50
Residente Erwachsene: 2,- Euro
Residente Kinder unter 12 Jahren: 1,- Euro
Kinder unter 2 Jahren: gratis

Jardines Hijuela del Botánico

Öffnungszeiten:
Mo-Fr: 9:00-18:00
Sa, So + Feiertage: 10:00-15:00

Eintritt:
Gratis

Jardín Victoria

Öffnungszeiten:
Mo-Fr: 9:00-20:00
Sa, So + Feiertage: 9:30–20:30
ACHTUNG: Derzeit wegen Renovierung geschlossen, Stand Mai 2019, Wiedereröffnung unbekannt.

Eintritt:
Gratis

Palmetum de Santa Cruz de Tenerife

Öffnungszeiten:
Täglich: 10:00-18:00
Letzter Einlass: 17:00

Eintritt:
Erwachsene: 6,- Euro
Kinder unter 12: 2,80 Euro
Residente Erwachsene: 3,- Euro
Residente Kinder unter 12 Jahren: 1,50 Euro
Residente Senioren über 65: 1,50 Euro
Kinder unter 2 Jahren: gratis

Gedruckter Plan: 0,50 Euro
Preise Gruppentarife und Führungen siehe Website des Palmetum.

(Stand Mai 2019)

Nützliche Links.

Palmetum de Santa Cruz de Tenerife

Jardín de Aclimatacíon de La Orotava

Liste der botanischen Gärten weltweit

Jardín Botánico Viera y Clavijo nahe Las Palmas de Gran Canaria

Bilderbuch Teneriffa

Die Broschüren des Turismo de Tenerife.

Siehe auch unter “Bilderbuch Teneriffa“: “Teneriffa – der grosse Download Bereich” – alle aktuellen Informationsbroschüren des Turismo de Tenerife.

 

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