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Valle de El Golfo El Hierro.
Reise Sehnsucht

El Hierro – Nachricht vom Ende der Welt.

Prolog – unterwegs in eine andere Zeit.

El Hierro, die unbekannte Insel, wo sie genau oder auch nur ungefähr liegt, wissen nur wenige. Schon die Anreise gestaltet sich für den Mitteleuropäer nicht ganz so leicht. TFS, Tenerife Sur, anfliegen und dann weiter mit der Armas Fähre von Puerto Los Cristianos nach Puerto Estanca El Hierro. Oder nach LPM, Las Palmas de Gran Canaria, oder TFN, Tenerife Norte, fliegen. Von ersterem mit Binter Canarias einmal täglich werktags, von letzterem zweimal täglich werktags mit Binter Canarias bzw. Canaryfly zum Airport El Hierro VDE abheben, mehr ein Flugfeld auf einer Klippe unterhalb der Hauptstadt Valverde.

Es entsteht der Eindruck, ans Ende der Welt unterwegs zu sein. Für die antiken Griechen war das auch so. Dort, am Punta de Orchilla auf El Hierro, am Zero Meridiano, dort verortete Ptolemäus das Ende der Welt im Westen. Der Flug nach El Hierro in der kleinen ATR-72 Turboprop Maschine bei freier Platzwahl, gestaltet sich aussichtsreich. Wird in Las Palmas gestartet, passiert die Maschine gemächlich in Sichtflughöhe den höchsten Berg Spaniens, den Pico del Teide 3.718 m auf Teneriffa. Ganz wunderbar im Winter, wenn die Vulkanspitze weiss angezuckert ist. Anflug El Hierro, ILS Landesystem Fehlanzeige. Der Pilot zieht old school per Hand nach Lust und Laune spektakulär in weitem Bogen vom Atlantik auf die Landebahn hinunter. Dort unten pfeift der Nordost Passat immer ordentlich. Nicht umsonst steht auf den Höhen über dem Airport das Windkraftwerk Gorona del Viento. Der Anflug auf die kurze Landebahn muss daher mit ordentlich Speed erfolgen. Elegantes hineingleiten und butterweiches aufsetzen ist auf El Hierro nicht angesagt. Wer das echte Fliegen liebt, hat seine wahre Freude an dem Manöver. Ängstliche werden mit flauem Magen aufsetzen. Keine Angst, die Piloten können das.

Die übersichtliche Anzahl an Touristen, noch nicht einmal 40 tsd. pro Jahr sind es, welche aus der ATR-72 Propellermaschine steigen, merken schon am Flugfeld: Auf El Hierro ist die Zeit tatsächlich stehen geblieben. Die Maschine stoppt direkt am Eingang des „Terminals“. Ein beleibter Guardia Civil Beamter begrüsst strahlend die Gäste. Ein Traktor mit Hänger transportiert, beobachtet von den Fluggästen aus dem Terminal, das Gepäck 50 Meter zur Ankunft-/Abflughalle und verfrachtet es auf ein kurzes Gepäckband. Das ist El Hierro. Drei DISA Tankstellen, zwei Lebensmittelgeschäfte, die gerade so als Supermärkte durchgehen und im Gegensatz zu Teneriffa und Gran Canaria, wo das Internet rasend schnell ist, schnarchlangsames Netz. Der Bundesbürger fühlt sich zu Hause.

Die 7 tsd. Insulaner sind ausgenommen freundlich, offen und hilfsbereit, ausgestattet mit viel Zeit. Schnell geht gar nichts auf El Hierro. Häuser, Autos unversperrt, der Zündschlüssel steckt. Jugendliche grüssen auch den unbekannten Touristen höflich auf der Strasse. Das kann erschrecken. Nein, sie führen nichts Böses im Schilde, es gilt einfach: Jung hat Alt zu grüssen. Da ist man streng auf El Hierro, wenn es um die Form geht. Der Tourist sollte diesen Gruss immer freundlich erwidern und beispielsweise ein lockeres „buenos mis niños“, „einen guten meine, Kinder“, retournieren. So wäre das üblich. Jegliche Hektik gilt als unhöflich, dem Gegenüber muss ausgiebig Zeit gewidmet werden. Es heisst seinen Takt an die Insel anzupassen.

El Golfo – der Garten Edens.

El Golfo, beeindruckende Szenerie wie wohl kaum je gesehen. Am besten es wird erst einmal ein Blick auf Google Earth geworfen, um die Dimension dieses Naturwunders im Gesamten zu erkennen. El Hierro, die jüngste Insel des kanarischen Archipels stieg, als vulkanisches Gebäude vor 1,12 mio. Jahren, aus dem Atlantik als massiver Lavaklotz 2.000 m beeindruckend in den Himmel empor. Heute ragt die höchste Erhebung, der Malpaso, nur noch 1.501 m über den Meeresspiegel.

An allen Seiten der Insel begann nach und nach Lavagestein in den Atlantik abzubrechen. Massive Abbrüche, keine kleinen Felsstürze, ereigneten sich, die wohl immer wieder Tsunamis auslösten und die Küsten einiger Kanaren Insel überschwemmten. Die massivsten Trümmerlawinen fanden an der Nordwest Küste vor 130.000 bis 15.000 Jahren statt. Sie formten ein imposantes, rund 15 Km breites und 3 Km tiefes, Amphitheater. Grandios wird es von Felswänden begrenzt, die 1.000 m senkrecht zu einer Hochebene hinauf in die Wolken ragen. Am frühen Vormittag treibt der Nordost Passat die feuchten Passatwolken über die Felswände, die fotogen in die Ebene El Golfo abstürzen und Feuchtigkeit bringen. Ein wahres Spektakel das erleben zu dürfen.

Die Ebene von el Golfo wurde nach den Abbrüchen mit fruchtbarer mineralischer Lavaasche bedeckt. Noch heute sind Unterwasservulkane aktiv. Die feuchten Passatwolken, die windgeschützte Lage und die intensive Sonneneinstrahlung machen El Golfo zu einem fruchtbaren natürlichen Treibhaus. Intensiver Weinbau wird betrieben, der Wein kann bei  der Cooperativa Frontera El Hierro direkt gekauft werden. Heraus stechen die Weissweine, die sich auf dem vulkanischen Boden sehr gut entwickeln (Weinliste siehe unten). Aber auch Ananas, Bananen, Avocados und mehr gibt es direkt vom Baum bzw. der Staude zu kaufen. Ein köstlicher Geschmack jenseits dessen, was der Mitteleuropäer aus dem Supermarkt kennt!

Den Besuchern von El Hierro ist El Golfo im Vorfeld besonders durch den „Campanario de Joapira“ bekannt. Eine Kapelle und kleiner Turm auf einem Hügel in La Frontera, der ein herrliches Fotomotiv abgibt. Gestiftet wurde er von Hierros, die in einfachen kleinen besegelten Fischerbooten eine halsbrecherische Überfahrt nach Kuba wagten. Sie starteten an der Mole des Leuchtturms Faro de Orchilla. Die letzte Auswanderungswelle fand während der grossen Dürre in den 1950iger statt.

In El Golfo liegen zwei der drei Hotels der Insel. Die restlichen Quartiere sind Privatzimmer. Ganz im Westen von El Golfo wird das „Balneario“, das „Heilbad“, gefunden. Dort liegt der Heilbrunnen „Pozo de la Salud“, der einst bei Briten sehr beliebt war. Er kuriert angeschlagene Mägen. Das „Balneario Pozo de la Salud“ wird von der Inselverwaltung betrieben, dem „Cabildo“. Es ist das letzte Haus Richtung Westen, gelegen an einer kleinen Strasse. Sie führt einspurig zum Null Meridian und den Faro de la Orchilla. Himmlische Ruhe, kein Auto stört den Frieden. Direkt auf einer Klippe gelegen tragen den Gast die Wellen in den Schlaf. Es ist wie Sommerfrische Anno dazumal. Auf Handy Netz und ähnliches muss verzichtet werden. Dafür gibt es grandiose Sonnenuntergänge. Das überraschend ansprechende Abendessen der Halbpension wird a la Carte frisch zubereitet. Im kleinen Speisesaal ist das Werken des Kochs nach der Bestellung zu vernehmen. Gespeist wird vor Panoramaverglasung mit fantastischem Blick auf den Atlantik. Die Tische klassisch eingedeckt. Das hat bezahlbaren Stil und wird kaum auf El Hierro erwartet. Das Balneario Pozo de la Salud ist auch für weit Gereiste etwas besonderes. Es verführt sich in eine andere Welt zu begeben, in der alles noch einwenig langsamer, förmlicher und persönlicher war.

Punta grande – das kleinste Hotel der Welt.

Der Punta Grande ist die östlichste Ecke des Amphitheaters El Golfo. Wie Alexander von Humboldt in seinen Notizen vermerkte, als er von Punta Grande die Küste entlang Richtung Sabinosa spazierte, ist die Küstenlinie ein wunderbares Beispiel für Vulkanismus. Humboldt musste die Klippen noch unwegsam abschreiten, heute erschliesst ein schöner und aussichtsreicher Wanderweg die Klippen. Herrliche Aussichtspunkte und auch eine Gedenktafel erinnert an Humboldt, der auf den Kanaren einen Zwischenstopp einlegte, bevor er begann das Amazonasgebiet und mehr zusammen mit Aimé Bonpland zu erforschen.

Am Punta Grande ist eines der drei Hotels der Insel zu finden: Das „Hotel Puntagrande“. Es liegt auf der Fischer- und Handelsmole, die einst mangels Strassen auf der Insel, El Golfo logistisch mit der Ostküste und den anderen Kanareninseln verband. Das Hotel Puntagrande hat als das kleinste Hotel der Welt im Guiness Buch der Rekorde seinen Platz gefunden. Ganze vier Zimmer bietet es an. Auch für nicht Hotelgäste lohnt der Besuch am frühen Abend. Im kleinen Restaurant mit Terrasse lassen sich bei einem Sundowner fantastische Sonnenuntergänge geniessen.

Vom Punta Grande den Blick nach Osten gerichtet, sind die „Roques del Salmor“ zu sehen. Wie auf einer Perlenkette aufgereiht, ragen grössere und kleinere Felsen aus dem Atlantik. Sie sind Produkt der fortwährenden Erosion. Zu erreichen sind sie nur mit dem Boot. Die Felsen zu besteigen ein riskantes Kletterunternehmen an brüchigem Fels. Zugvögel lieben dieses sichere Refugium. Gefährlich wird es aber auch dort für die Volgewelt, denn die endemitische Riesenechse „el lagarto gigante“ treibt sich dort herum. Wissenschaftlich korrekt heisst sie „Gallotia simonyi“. Ihren Namen trägt sie vom Wiener Kanarenforscher und Geographen Oscar Simonyi. Er beschrieb sie erstmals wissenschaftlich. Die Ureinwohner jagten die Riesenechse mit dem Speer und grillten sie danach. Wie sie genau schmeckt, ist nicht mehr bekannt, denn sie steht unter strengem Artenschutz.

Baden lässt sich an der wilden Küste im Atlantik nicht. Das macht nichts, denn direkt am Punta Grande auf einer Klippe liegt ein schönes Schwimmbad, das der prominente Architekt und Künstler César Manrique aus Lanzarote gestaltet hat. Es ist nur im Sommer in Betrieb. Hinter dem Schwimmbad ist ein Haus zu finden, das ebenfalls Manrique gestaltete. Es sticht sofort ins Auge, denn es folgt, so wie das Schwimmbad, sehr zweckmässig einem organischen Baustil. César Manrique, der Künstler wie Pablo Picasso oder Andy Warhol zu seinen Freunden zählte, hätte im Jahr 2019 seinen 100. Geburtstag gefeiert.

El Pinar – Bäume mit Federn.

El Pinar, die Pinus canariensis, ist die endemische Kiefer der Kanaren. Ihre nächsten Verwandten findet sich erst im Himalaya mit der Pinus roxburghii und Korea-Kiefer (Pinus koraiensis). Letztere ist in Korea, Nordostchina und Südrussland heimisch. El Pinar prägt in den höheren trockenen Zonen der Kanaren das Landschaftsbild. Nur auf Lanzarote und Fuerteventura ist sie nicht heimisch, da sie erst ab Höhen von 600 bis 800 m aufwärts vorkommt. Rund 50.000 Hektar des Archipels sind mit der kanarischen Kiefer bewachsen. Die Insel La Palma führt sie als ihr Wahrzeichen.

Im Gegensatz zur Mittelmeerkiefer ist das Holz der Pinus canariensis jedoch schwer und sehr hart. Das Kernholz, das sogenannte “tea”, war durch seine Härte und Widerstandsfähigkeit begehrtes Holz für den Schiffsbau oder die Herstellung von Weinfässer. „Tea“ von Kienspan, dem besonders dichten und gut durchgetrocknetem Holz des Baumkerns. In speziellen Öfen, den “horno de brea” (Teeröfen), wurde aus der El Pinar Teer gewonnen, um Schiffe damit zu kalfatern. Bei Bauten war die Verwendung der El Pinar prestige Sache, signalisierte Reichtum. Balkone, Holzböden und Holzdecken schmückten die Häuser der Aristokratie und des wohlhabenden Bürgertums. Schöne Beispiele finden sich überall in San Cristóbal de La Laguna auf Teneriffa oder auch auf selbiger Insel in La Orotava. Dort wurde in der “Calle de los Balcones” geeifert, wer die schönsten und auch meisten Balkone an der Fassade hatte. Genutzt wurden sie nicht. Sie waren reine Dekoration und Schaustellung.

Die kanarische Kiefer wird gerne rund um den Globus in trockenen und warmen Regionen als Zierpflanze angesiedelt, denn sie gibt ein herrliches Bild ab. Im Gegensatz zur Mittelmeer Kiefer hat sie einen schon unwirklich dicht wirkenden Bewuchs aus besonders langen Nadel, die etwas von einer Feder haben. Sie dienen dazu in den trockenen Regionen, in denen sie heimisch ist, die Nachtfeuchte aus der Luft zu filtern. Auf den Kanaren kämmen sie die Feuchte aus den Passatwinden. Nicht nur das Holz der El Pinar wurde genutzt, sondern auch ihre Nadeln. In früheren Zeiten waren sie Verpackungsmaterial für die Export Banane. Heute werden sie nur noch in der Landwirtschaft als Einstreu verwendet.

In den kanarischen Kiefernwäldern zu Wandern ist ein herrliches Natur Erlebnis. Eine besondere Stimmung herrscht in ihnen. Das Licht fällt auch an strahlend hellen Sommertagen nur gedämpft in den Wald, das Harz der Kiefer duftet intensiv und auf den dick mit Nadel belegten Waldboden geht es sich wie auf Federn. Aber Vorsicht: Angenehm geht es sich nur mit hohen Wanderstiefeln aus Leder. So hübsch die Nadeln aussehen, so hart und stechend sind sie. Normale Turnschuhe werden durchstochen, das Gehen wird zur Qual. Ganz einzigartige Wanderung in den Kiefernwäldern der Kanaren lassen sich auf El Hierro unternehmen. Die schönen, gutbeschilderten Wanderwege sind einsam, nichts stört das Erlebnis. Entspannung pur.

Die mystische Welt von San Andrés.

Die Hochebene von San Andrés entführt den Besucher in eine mystische Welt. 1.000 bis 1.100 m ist sie hoch, die Höhe, in der die feucht aufgeladene Luft des Nordost Passat zu dichten Wolken kondensiert. Die Wolken intensiver als in einem Dampfbad, keine fünf Meter sind mehr zu sehen und wer mit dem Auto unterwegs ist, muss öfter einmal anhalten, weil die Strasse nicht mehr auszumachen ist. Am schönsten ist es aber über die schöne Hochebene vom San Andrés zu wandern. Saftig grün ist alles. Wiesen, Steinmauern markieren Grundgrenzen, über die Ebene ziehen Schäfer, Pferde grasen, einsam ist es und friedlich. Besonders dramatisch am Vormittag, wenn die Wolken so richtig dicht werden. Sie ziehen im Nordosten den Hang hinauf, dort, wo das Windkraftwerk Gorona del Viento angesiedelt ist und legen sich auf die Hochebene. Der Passat treibt sie teils stürmisch an. Blitzblauer Himmel und einige Minuten später ist die Hand vor Augen nicht mehr zu sehen. Ein Erlebnis für alle Sinne. Das macht etwas mit dem Menschen, der diese Hochebene durchwandert.

Hinauf zum Pico Malpaso – durch „El Pinar“ und den Märchenwald „Mencafete“.

Nördlich der Hochebene von San Andrés führt eine Strasse und ein historischer Fussweg hinauf zum höchsten Berg von El Hierro, den Pico Malpaso (1.501 m). Sein Name könnte frei als „schlechter Übergang“ bezeichnet werden. Warum er so heisst, fraglich, liegt wohl daran, das dort die Wolken fast immer so dicht sind, dass kaum ein Weg zu finden ist. Auch die Strasse ist mit dem Auto an manchen Tagen kaum noch zu sehen. Die Passatwolken bilden sich beim Aufsteigen ab einer Höhe von 600 – 800 m und werden in der Höhe des Pico Malpaso am dichtesten. Dort liegt die Klima Zone „bosque termófilo“, der feuchte Lorbeer Wald, der „bosque laurisilva“. Über die Hochebene San Andrés durch den Lorbeerwald hinauf zum Pico Malpaso zu wandern, das ist schon ganz grosses Abenteuer für Geist und Seele. Klima und Landschaft so einzigartig, dass das Unternehmen zu einem einprägenden Erlebnis wird. Durch den Lorbeerwald „Mencafete“ zu wandern, ist wie eine Reise durch ein Märchen. Die Realität entschwindet dem Geist und der Wanderer betritt eine Traumwelt.

Aber auch mit dem Auto geht es hinauf zum Malpaso. Das machen nur wenige und wenn komfortabler von der Hauptstadt Valverde aus. Denn diese Strasse ist fast durchgehend asphaltier aber weniger schön. Besser in der Gegend um La Restinga aufbrechen. Erst geht es über die HL-500, dann auf die Bundesstrasse HL-45. So manch einer glaubt am Abzweig zur HL-45, er müsse sich verfahren haben. Nein, hat er nicht, die Bundesstrasse ist wirklich ein Waldweg und sie kann ganz normal befahren werden. Auch ein normaler Mietwagen schafft das, wenn es auch bisweilen holprig wird. Erst geht es durch herrlichen Pinienwald, teils über junge Lavafelder, die gerade von der kanarischen Kiefer zurück erobert werden und immer mit wunderbaren Ausblicken auf die Ostküste. Doch ganz plötzlich, wie mit dem Lineal gezogen, ist es vorbei mit dem blitzblaue Himmel. Der Reisende taucht in eine Nebelsuppe ein.

Der dichte Lorbeerwald ist erreicht. Immer nieselt es aus dem dichten Nebel, von den Blättern der Lorbeerbäume tropft das Wasser, ein sattes Grün, das in seiner Intensität unwirklich wirkt, schmeichelt dem Auge und ist Balsam für den gestressten Menschen. Mencafete, der Nebelwald von El Hierro. Auf Teneriffa findet er sich im Anaga Gebirge, der Mercedes Wald. Das Grün so satt, der Gast möchte bleiben. Dicke Mose und überall spriessen versteckt subtropische Blüten aus dem dichten Nebel hervor. Wanderwege durchziehen den Wald. Wer den Gipfel erreicht, wird ganz selten einmal den Genuss haben, zur Nachbarinsel La Palma hinüber zu blicken. Der Pico Malpaso hüllt sich am liebsten in dichte Wolken.

La Restinga – südlich von Europa.

La Restinga ist das touristische Zentrum von El Hierro. Wer nun Hotels und Trubel erwartet, der wird schwer enttäuscht werden. Kein einziges Hotel gibt es, Apartments, privat Quartiere empfangen den Reisenden. Tourismus mal so ganz anders. Der „Punta de los Saltos“, der westlichste Punkt im südlichen Atlantik der EU, liegt dort. Beschaulich geht es in La Restinga zu. Eine kleine Promenade, im Hafenbecken wird gebadet. Die meisten Besucher lassen einfach die Zeit vergehen. Auch Auswanderer finden sich in La Restinga. Pensionisten beispielsweise, die ganz in Ruhe ihren Lebensabend verbringen wollen. Von einem der 7.000 Hierros bestohlen oder gar ausgeraubt zu werden, scheint ein Ding der Unmöglichkeit. Der Übeltäter binnen Stunden dingfest gemacht und auf der ganzen Insel geächtet, da er dem Tourismus, dem zarten Pflänzchen der Insel, massiv geschadet hat. El Hierro, vielleicht das sicherste Fleckchen der EU.

Gorona del Viento – Strom aus der Energy des Nordost Passat.

Die Story zum Wind- und Pumpspeicher Kraftwerk „Gorona del Viento“.

Spirituelles El Hierro – Nuestra Señora de los Reyes.

Alles begann, wie das so üblich ist, mit einer sagenhaften Geschichte. Je genauer sie erzählt wird, desto unrealistischer ist sie meist. Jedenfalls versuchte im Jahre 1546 ein Segelschiff mit dem Nordost Passat und dem Kanaren Strom unter dem Kiel, nach Neuspanien überzusetzen. Doch Flaute herrschte und die Mannschaft erreichte erschöpft, ausgehungert und durstig El Hierro. Das soll sich am 6. Januar 1546 zugetragen haben. Könnte sein, denn es gibt keine dümmere Zeit für eine Passage hinüber nach Amerika, die mit Windkraft unternommen werden soll, als den Winter. Der Passatwind ist ein thermischer Wind und der weht im Winter nunmal nicht richtig. Im Sommer schon. Die Pfarrer von El Hierro versorgten die erschöpfte Crew mit Wasser und Nahrung. Als Dank übergab man das einzige Wertvolle, das sich am Schiff befand: Ein Bildnis der Mutter Gottes. Und schon begann eine Priese zu wehen. Wunder geschehen eben doch.

Nun musste natürlich dieses wundersame Bildnis, auch an einem wundersamen Ort aufbewahrt werden, um es noch wundersamer zu machen. Die Pfaffen entschieden sich für einen besonders entlegenen Ort, die Felsenhöhle „Cueva Caracol“. Eine Ansammlung von Höhlen befinden sich dort, die nur Hirten nutzten, um in den windigen und nassen Nächte über der Hochebene „Dehesa“, eine halbwegs angenehme Nacht auf 700 m Seehöhe verbringen zu können. Die Lage hatte sehr praktische Bedeutung. Trug ein Pfaffe bei der Beichte einem Sünder auf, seine Verfehlungen zu sühnen, in dem er beispielsweise 33 Rosenkränze vor dem heiligen Bild zu beten habe, dann war das ein mehrtägiges Leiden, diese Aufgabe zu absolvieren. Strassen gab es keine, der Weg äusserst beschwerlich, das Klima mehr als unangenehm dort oben. Da überlegte sich jeder Sünder zweimal, noch einmal dem göttlichen Willen nicht zu entsprechen oder beschloss praktischer nicht mehr alles zu beichten.

Alsbald wurde ein Einsiedler verpflichte, der dort oben in einer Steinhütte zu hausen hatte. Zu welchem Zweck ist unbekannt. Schon bald wurde dort eine heilige Messe gelesen. Auch das weiss man genau: Es geschah am 25. April 1577, ab nun der Tag der Inselheiligen. Im Jahre 1741 war dann die „Santuario Insular de Nuestra Señora de los Reyes“, also die Kapelle der heiligen drei Könige, errichtet und wurde sogleich mit einer Wallfahrt eben am 25. April begangen. Sie startet in der Dehesa Hochebenen und führt über 44 Km über den Pico Malpaso nach Valverde und endet dort mit einer heiligen Messe in der „Iglesia de la Nuestra Señora de la Concepción“, der unbefleckten Empfängnis. Die Kirche ist milde. Diese Schinderei müssen sich Gläubige nur alle vier Jahre antun, so ihnen die „bajada“, so heisst die Prozession bei den Hierros, nicht als Sühne aufgetragen wird. „Bajada“ bedeutet soviel wie Abstieg, da es vom Pico Malpaso zum eigentliche Ziel der Wallfahrt, der Kirche in Valverde, hinunter geht.

Der aufgeklärte Geist wird von all dem etwas befremdet sein. Abgesehen davon, ist die Wallfahrt jedoch ein prächtiges Ereignis, das die Insulaner zusammen schweisst. Um auf dieser an sich harten Insel überleben zu können, bedarf es bis heute eines grossen Gemeinschaftsgeistes. Beeindrucken, welche Bedeutung die Kapelle noch heute hat. Gläubige besuchen sie und bitten stundenlang für ihre Anliegen, andere Hierros quälen sich mit dem Rad die 700 Höhenmeter hinauf. Standard ist folgend ein Abbild der Heiligen zu erwerben, das es zeitgemäss auf Kaffee Tassen, Kühlschrank Stickern und ähnlichem sehr profanem gibt. Ein gut sortierter Devotionalien Händler hat täglich geöffnet, welcher vom örtlichen Glaubensmonopol betrieben wird.

Wem das alles verständlicher Weise etwas kurios vorkommt, sollte die Santuario Insular de Nuestra Señora de los Reyes trotzdem besuchen. Denn es ist ein landschaftlich besonderer Ort. Der Wind fegt dort oben fast immer in Orkanstärke. Die makellos in weiss getünchte Kirche strahlt gegen den intensiv blauen Himmel und der Ausblick über den Atlantik ist sensationell. Ein toller Ort – so oder so.

Die Meridian Insel – der Zero Meridiano am Punta de Orchilla.

Die Story zur Meridian Insel, dem antiken Nullmeridian findet sich hier.

Epilog – wird der Takt synchron, wächst die Liebe.

El Hierro, was für eine Insel. Nicht jedem erschliesst sich ihre einzigartige Schönheit. Es bedarf einer gewissen geistigen und altersmässigen Reife. El Hierro ist etwas, um in sich zu gehen, Natur zu erleben, besondere Eindrücke zu sammeln und sich selber zu entdecken. Das braucht Zeit. Für einen kurzen Besuch ist El Hierro nichts. Damit El Hierro wirkt, sein Aroma entfalten kann, muss es eine Weile geöffnet vor dem Geniesser stehen, wie eben ein guter Rotwein. Dann wird die so einsame Insel im Atlantik zum Genuss. Wird der Takt synchron, dann wächst die Liebe zu dieser grandiosen Insel!

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